Die Streichung des § 219a StGB ist und bleibt richtig!

Am 27. April sprach ich im Bundestag zum § 219a StGB, nachdem die AfD-Fraktion einen Antrag auf Erhalt des Paragrafen gestellt hatte. Danach würde es für Gynäkolog*innen, welche Schwangerschaftsabbrüche durchführen weiterhin strafbar bleiben, darüber auf ihrer Website etc. zu informieren. Das ist keinesfalls zeitgemäß, deshalb ist es richtig, dass § 219a StGB durch die Ampel-Koalition endlich gestrichen wird.

Darüber hinaus werden wir uns auch sowohl mit Gehsteigbelästigungen durch Abtreibungsgegner*innen als auch dem § 218 StGB auseinandersetzen müssen. Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht ins Strafgesetzbuch!

Meine Rede im Volltext findet ihr hier:

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von webtv.bundestag.de zu laden.

Inhalt laden

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag der AfD macht mich einerseits fassungslos, andererseits bin ich aber auch tiefenentspannt. Und ich will Ihnen auch sagen, warum.

Fassungslos bin ich deshalb, weil er so rückwärtsgewandt ist, dass man, wenn man ihn ausdruckt, auf
dem Papier, auf dem er geschrieben ist, im Hintergrund noch den Schatten einer Pickelhaube erkennen kann. 

Tiefenentspannt bin ich deshalb, weil ich weiß, dass Sie dafür keine Mehrheit finden werden, so wie Sie für gar nichts, was Sie hier vorbringen, eine Mehrheit finden werden. Das muss eine ziemlich frustrierende Art und Weise sein, Politik zu machen. Ich hätte da keinen Spaß dran.

Niemand hier will mit Ihnen zusammenarbeiten, geschweige denn mit Ihnen jetzt oder in Zukunft koalieren. Umfragemäßig sind Sie im 10-Prozent-Tief gefangen. Das, was Sie hier vorbringen, das funktioniert vielleicht auf den eigenen Telegram- und Youtube-Kanälen; aber es gibt doch keine gesellschaftliche und auch erst recht keine parlamentarische Mehrheit für Ihre Politik; und das ist gut so. Deswegen bin ich entspannt, was das angeht.

Jetzt haben wir nur ein Problem: Ihre Rhetorik ist der Nährboden für Hass und Drohungen, zum Beispiel gegenüber Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, indem diese tagtäglich mit Anrufen, mit E-Mails, mit Postsendungen konfrontiert sind, in denen sie beleidigt werden, in denen ihnen gedroht wird.

Und Ihre Rhetorik ist auch der Nährboden für die sogenannten Lebensschützer. Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Frau und müssen einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen. Sie sind gerade auf dem Weg zur Beratungsstelle bzw. auf dem Weg zur Arztpraxis, und dann halten Ihnen sogenannte Lebensschützer irgendwelche komischen Plakate vor die Nase oder bombardieren Sie mit kruden Thesen. – Das muss endlich aufhören. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird diese Ampelkoalition schon sehr bald wirksame Maßnahmen gegen Gehsteigbelästigungen auf den Weg bringen.

Jetzt bin ich ja von Haus aus Lehrer; deswegen gibt es noch eine knappe Minute gesellschaftspolitischen Geschichtsunterricht. Erst 1994 wurde der § 175 Strafgesetzbuch restlos gestrichen; das ist der Paragraf, der die Grundlage für die Diskriminierung und auch für die straf- rechtliche Verfolgung von Homosexuellen war. Erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat. Erst 2017 haben wir die Ehe für alle eingeführt.

Das alles waren wichtige Meilensteine. Trotzdem muss man in der Rückschau sagen: Hätte das nicht alles schon ein paar Jahre früher stattfinden können?

Das wäre gut gewesen. Und ich glaube, dass wir auch in einigen Jahren aufs Jahr 2022 zurückschauen und feststellen werden: Es ist eigentlich ein ganz schöner Skandal, dass man als Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen musste, bis ins Jahr 2022 dafür nicht umfassend die nötigen Informationen zur Verfügung gestellt bekommen hat. – Trotzdem ist es deswegen umso wichtiger, dass wir das jetzt in Angriff nehmen.

Die Abschaffung des § 219a ist aber nur eine Etappe auf dem Weg des gesellschaftlichen Fortschritts. Ich sage Ihnen auch gerne, was die nächsten Schritte sind: das Selbstbestimmungsrecht, die Verantwortungsgemeinschaft, und, meine Damen und Herren, wir werden uns auch den § 218 noch mal angucken müssen, weil es doch einfach nicht sein kann, dass Schwangerschaftsabbrüche im Strafrecht geregelt sind.

All das werden wir in Angriff nehmen, und wir werden uns auf dem Weg des gesellschaftlichen Fortschritts ganz bestimmt nicht von Ihrem merkwürdigen Antrag abbringen lassen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

Quelle: Plenarprotokoll der 30. Sitzung des Deutschen Bundestags

Weitere aktuelle Informationen